Angewandte Ethik - Eine kurze Hinführung

© Franziska Schellenberg

Bei der Lektüre der Ethik für junge Menschen von Zagal und Galindo begegnet man folgenden Gedanken:

 

„Die Ethik ist ein Wissen, das in die Praxis umgesetzt werden muss. Nur wenn wir uns dazu entscheiden, ein ethisches Leben zu führen, haben wir voll und ganz verstanden, was Ethik bedeutet. Die Ethik ist eine Wissenschaft, mit der man sich beschäftigt, um sie in Handeln umzusetzen. Es reicht nicht, dass wir das moralische Gesetz bloß kennen; wir müssen auch lernen, danach zu leben.“ (Zagal, Héctor; Galindo, José (2000): Ethik für junge Menschen. Grundbegriffe – Positionen – Probleme. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, S. 197)

 

Die Autoren erläutern in ihrem Epilog des eben benannten Werkes, „die Ethik [sei] […] die beste Anleitung zum wahren Menschsein“. Es gehe darum, „die Ethik aus ihrer Verbannung zu befreien“. Dies sei „der beste Weg, die Würde des Menschen zu bejahen“. Ebenso glauben Zagal und Galindo, die Ethik „will uns helfen, glücklich zu sein“. Und da „das Glück des Menschen in der vollen Entfaltung seiner natürlichen Anlagen liegt, ist die Ethik zugleich Anleitung zum Glücklichsein“ (ebenda, S. 237).

 

Diese Gedanken sollen Ausgangspunkt der hier entstehenden Diskussionsforen sein. 

 

Es wird weniger der Schwerpunkt darauf gelegt, Antworten berühmter Philosophen auf große philosophische Fragen darzustellen, zu erläutern, zu analysieren oder zu diskutieren. Sondern vielmehr ist es Ziel, die Philosophie, und im engeren Sinne die philosophische Ethik, ganz dem Gedanken Ludwig Wittgensteins folgend, als Tätigkeit zu erfassen (Vgl. Wittgenstein, Ludwig (EA 1921): Tractatus logico-philosophicus (ursprünglicher deutscher Titel: Logisch-philosophische Abhandlung), Satz: 4112) und hierfür, unter der Voraussetzung, die Leserschaft und hoffentlich auch zahlreichen KommentatorInnen verfügen über Basiskenntnisse ethischer Grundbegriffe, Prinzipien und Lehren, diese auf unterschiedlichste Probleme des Handelns unserer aktuellen Lebenswelt zu beziehen.

 

Lutz-Bachmann sieht das „Erkenntnisverfahren der Kasuistik“ (lat. Begriff casus = der Fall) als „eine unverzichtbare Methode“ zur „Analyse und Bewertung von Handlungen“ (Lutz-Bachmann, Matthias (2013): Grundkurs Philosophie. Band 7. Ethik. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, S. 195)bei dem eine „methodisch kontrollierte Anwendung von allgemeinen Prinzipien, genauer: von Normen der Moral oder des Rechts auf einen vorliegenden Einzelfall“ (ebenda) erfolgt.

Dennoch erkennt Lutz-Bachmann ebenso die Tatsache, „dass der Rekurs auf allgemeine Bestimmungen […] niemals hinreicht, um die moralische oder auch rechtliche Qualität einer Einzelhandlung eindeutig […] zu bestimmen“ (ebenda). Es gehe also darum, „moralische Grundsätze“ „mit Blick auf spezifische Fragen der Anwendung allgemeinster Moralprinzipien oder ethischer Modelle auf neue Herausforderungen an unser Handeln“ (ebenda) neu zu begründen, „damit die Ansprüche des moralisch richtigen Handelns auch in den erweiterten Handlungsräumen der Gegenwart nicht scheitern" (ebenda).

Hierin sieht er die „Herausforderung […] der neueren angewandten Ethik“ (ebenda). 

 

Aufgrund bereits vergangener und auch gegenwärtiger Entwicklungen, zu denen Lutz-Bachmann den „Pluralismus moralischer Überzeugungen in den Lebenswelten der Moderne“ (ebenda, S. 198),  eine „durch die unterschiedlichen Handlungslogiken geprägt[e]“ (ebenda) neue Lebenswelt und die „dynamischen Prozesse der wissenschaftlich-technischen Revolutionen der Gegenwart und der Globalisierung“ (ebenda) zählt, liegt die Hauptaufgabe der Angewandten Ethik darin, den Veränderungen sachlich-methodisch zu begegnen, indem sie versucht,

 

„von einer möglichst präzisen Analyse der jeweiligen moralischen Konflikte und Herausforderungen, die sich in den unterschiedlichen Handlungsfeldern unserer Lebenswelten einstellen, diejenigen obersten praktischen Prinzipien, allgemeinen Grundsätze oder Normen […] [heraus zu arbeiten], die […] dafür geeignet zu sein scheinen, die analysierten Konflikte und Herausforderungen auf begründete Weise zu lösen, und Antworten auf die Frage nach dem moralisch richtigen oder guten Handeln erlauben“ (ebenda, S. 199).

 

Vereinfacht formuliert, geht es in der Angewandten Ethik darum, bekannte ethische Prinzipien und Grundsätze auf konkrete Fälle der durch Pluralismus, Differenzierung (Thurnherr spricht hierbei auch von einem sich „herausbildenden Individualismus“ [Thurnherr, Urs (2000): Angewandte Ethik zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag GmbH, S. 17]) und Modernisierung veränderten Handlungsräume unserer Lebenswelt anzuwenden und dabei zu prüfen, „ob das Resultat unserer moralischen Intuitionen entspricht“ (Pfister, Jonas (20112): Philosophie. Ein Lehrbuch. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, S. 248). Pfister meint, dass „[w]enn das Resultat unserer moralischen Intuition nicht entspricht“, dies bedeuten könne, „dass wir entweder das Prinzip korrigieren müssen oder dass wir unsere Intuition ändern sollten“ (ebenda).

 

In den letzten Jahrzehnten ist diese Notwendigkeit einer ethischen Neuorientierung als Reaktion auf eine „unumkehrbare Pluralisierung unserer Lebenswelten“, einer „Ausdifferenzierung von Handlungslogiken in den Teilsystemen unserer Gesellschaft, einer […] unermesslichen Steigerung der Handlungsoptionen durch die wissenschaftlich-technischen Revolutionen sowie einer weltweiten Interdependenz von Handlungswelten im Prozess der Globalisierung“ (Lutz-Bachmann, Matthias (2013): Grundkurs Philosophie. Band 7. Ethik. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, S. 200) deutlicher geworden. 

 

Es gibt kaum mehr noch einen Bereich in unserer Gesellschaft, für den nicht neue, überarbeitete und konkrete Ethikkonzepte gefordert und diskutiert werden.

Sprich, die sogenannten Bereichsethiken (diesen Ausdruck prägt Julian Nida-Rümelin 1996 in seinem Handbuch Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische Fundierung.) haben Konjunktur, gehören mittlerweile zum Mainstream, indem sie Einzug in das Denken und Handeln einer Vielzahl von Menschen erhalten haben und damit als „öffentliche[...] Debatten das zukünftige Zusammenleben“ (Horster, Detlef (Hrsg.) (2013): Angewandte Ethik. Reclam Texte und Materialien. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, S. 9) beeinflussen und prägen.

Ebenso wurden „zu den Bereichsethiken [...] an den Universitäten inzwischen Lehrstühle sowie wissenschaftliche Gesellschaften und eigene Zeitschriften eingerichtet“ (ebenda, S. 12). Mittlerweile wird die Angewandte Ethik auch für Entscheidungsfindungen in Ethikkommissionen und bei Politikberatungen genutzt (vgl. ebenda). Laut Horster „überspringt die Angewandte Ethik [damit] die Grenzen der akademischen Ethik“ und übernimmt so ebenso „eine politische Funktion“ (ebenda, S. 12f.).

 

Diesem immer stärker werdenden Bewusstsein der immensen Bedeutung einer neu zu gestaltenden praktischen und anwendungsorientierten Ethik sollen diese Seiten gerecht werden. Sie mögen Denkanstöße, Problemorientierung und vor allem eine Plattform für gemeinsame Diskussionen und einen, von mir erhofften, regen Austausch von Gedanken, Ideen und Meinungen bieten.

Ziel ist es, ganz im Sinne von Zagal und Galindo, gemeinsam neue Erkenntnisse zu erlangen und diese in unserem Handeln und Entscheiden praktisch umzusetzen und dabei gleichermaßen die Ethik als Anleitung zum Glücklichsein zu nutzen.

 

Diese Seiten bieten eine erste Auswahl von „Bereichsethiken“, die definitiv keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Ziel ist es nicht primär, einen ausführlichen und wissenschaftlich fundierten Überblick der einzelnen Schwerpunkte zu erbringen, sondern vielmehr sollen ganz konkrete Themen aus dem Gesamten herausgenommen und durchdacht werden. Teilweise wird es hier möglicherweise zu inhaltlichen Überschneidungen bei den „Bereichsethiken“ geben, welche durch einen Hinweis verdeutlicht werden.

 

 

(©️ Franziska Schellenberg)

Allgemeine weiterführende Empfehlungen in Literatur, Film, Journalistik, Internet ...

Diese Liste bietet eine Auswahl verschiedener Empfehlungen aus Literatur, Film, Journalistik und Internet zum Thema der Angewandten Ethik im Allgemeinen und Gesamten an.

Die vorliegende Reihenfolge entspricht in keiner Weise einer wertenden Rangfolge.

 

- Harari, Yuval Noah (2015): Eine kurze Geschichte der Menschheit. München: Pantheon Verlag.

- Harari, Yuval Noah (2017): Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. München: Verlag C.H.Beck oHG.

- Harari, Yuval Noah (2018): 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert. München: Verlag C.H.Beck oHG.

--> mehr zu Yuval Noah Harari

 

- Thurnherr, Urs (2000): Angewandte Ethik. Zur Einführung. Hamburg: Junius.

 

- Horster, Detlef (Hrsg.) (2013): Angewandte Ethik. Texte und Materialien. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG


- Lutz-Bachmann, Matthias (2013): Grundkurs Philosophie. Band 7. Ethik. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG

 

- Homepage des Deutschen Ethikrats: https://www.ethikrat.org